Aus den Archiven: Verdirndelte Hirne-Die Deutschlandreportagen des Grafen Sobański
“Selten erreichen uns Nachrichten darüber, was hinter unserer Westgrenze passiert. Eine riesige Terrorwelle überflutet ganz Deutschland und erstickt die Schreie der Tragödie des deutschen Volkes, die nach außen dringen sollten. Deshalb verdient Sobańskis Buch besondere Aufmerksamkeit. Es ist das erste Buch, das uns ein wahres und vollkommen vorurteilsfreies Bild der heutigen deutschen Realität vermittelt.”
Mit diesen Worten bewarb die polnische Verlagsgesellschaft “Rój” 1934 eine Buchausgabe mit Texten des 1898 in Podole (heute Ukraine) geborenen Antoni Graf Sobański. Zuerst waren sie in der Warschauer Zeitschrift “Literarische Nachrichten” veröffentlicht worden. Ein weiterer Band, mit den späteren Deutschlandreportagen von 1934 (Berlin) und 1936 (Nürnberg), konnte nicht mehr erscheinen. Erst jetzt, nach 70 Jahren, wurden sie für ein polnische Neuausgabe wieder ans Licht geholt und liegen nun im berliner Parthas Verlag auch auf Deutsch vor: Ein schön gemachter, gründlich kommentierter Band – schade nur, daß die Aufzeichnungen aus dem mehrheitlich von Deutschen bewohnten Danzig nicht aufgenommen wurden, das Sobański im Frühjahr 1936 besuchte.
Denn Antoni Graf Sobański war ein so scharfer, zarter und ironischer Schilderer der Zustände der gerade zum Nazitum erwachten “seltsamen Nation”, daß man sein Buch - zusammen mit Sebastian Haffners “Geschichte eines Deutschen” – jedem Achtzehnjährigen (und manch Achtzigjährigem) auf den Geburtstagstisch legen möchte.
Der päpstliche Titulargarf, der im April 1933 ins faschistische Nachbarland reist, ist ein anglophiler, polyglotter, philosemitischer, schwuler Dandy, “ein altmodischer Liberaler”, der dabei “die Deutschen immer sehr geachtet” hat. Es ist wunderbar zu sehen, daß gerade ein verfeinerter Mensch wie Sobański, eben auf der Grundlage seiner Widersprüchlichkeit, angesichts der faschistischen Perversität zu ganz einfachen, unverrückbaren Aussagen findet. Aufgefordert, sich als Schriftsteller zur “Judenfrage” zu äußern, gibt er kurz Bescheid: “Die Judenfrage - gibt’s nicht.”
“Was ist Zivilcourage?”, sieht sich Sobański in Berlin herausgefordert zu fragen, und er antwortet: “Zivilcourage ist ein Zeichen von Individualität”. Die Fülle seiner Alltagsbeobachtungen und analytischen Exkurse zeigt ein Land, dessen Eliten nicht bereit sind, ihre Haut - “vom Kopf will ich gar nicht reden” – zu riskieren, obwohl sie es sich leisten könnten; ein Land im “Kasernenfieber”, in dem die Massen seelenruhig zusehen, “wie mehr als ein halbes Jahrhundert der Leistungen und Erfolge der Arbeiterklasse im Allgemeinen und der sozialdemokratischen Partei im Besonderen vernichtet wurden”; ein Land, in dem nur Kommunisten und versprengte katholische Pazifisten nicht von der allgemeinen Demoralisierung angesteckt sind. Sie wollen es nicht, aber sie können es, und das ist das Entscheidende, hat Robert Musil einmal den Bankrott des nichtnazistischen Teils der deutschen Gesellschaft auf den Punkt gebracht.
Als Sobański sich 1934 erneut auf den Weg nach Berlin macht, erfüllt ihn zunächst “ein für den Wahrheitssuchenden tödliches Wohlwollen a priori. Ich freute mich, mit dem Westen wieder in direkten Kontakt zu treten, statt nur via Buchhandlung. Denn Berlin ist schließlich nach wie vor die östlichste Hauptstadt des Westens.” Die Nachtlokale sind wieder gut gefüllt, die meisten Prostituierten sind im Lager, Uniformträger erzeugen keine Panik mehr, der jüdische Pianist spielt den neuesten New Yorker Schlager und dann Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren. Nach der snobistischen Vorliebe für alles Ausländische in der Weimarer Republik, sei nun auch ihm die Liebe zur deutschen Heimat eingehämmert worden. Sobańskis “verkommenen” Bekannten sind die sarkastischen Geschichten zwar noch nicht ausgegangen, was aber letztlich zählt, ist Arbeit, Arbeit, Arbeit: “Wenn diese 60000 arbeitslosen SA-Leute, die wir in Berlin haben, erst einmal Arbeit bekommen – sie haben ja Vorrang -, dann komme ich vielleicht auch irgendwann in den Genuss.” Aber welche Art von Arbeit wird denn vom Regime geboten? Sobański kommt zu dem Schluß: “Was für dankbares Menschenmaterial sind doch die Deutschen! Man braucht ihnen nur Hungerlöhne und eine schwache Hoffnung auf Arbeit zu geben und schon produzieren sie von selbst eine erstaunlich große Portion an Frohsinn.” Man genieße die Ironie, daß ein Buch, in dem dies zu lesen ist, in einem SPD-eigenen Verlag erscheint.
Schaurig-beklemmender Höhepunkt der “Nachrichten” ist Sobanskis Reportage vom Parteitag in Nürnberg 1936. Er wird Zeuge eines ins Albtraumhafte gesteigerten Oktoberfestwahnsinns: “An einem Tisch sitzen vier SS-Leute und vier Fräuleins. Sie sind sehr jung, schlecht angezogen, und mit ihren kleinen, bis zum Schlüsselbein reichenden Zöpfchen sehen sie wie Ratten aus. Ihre Begleiter singen derbe Lieder, die Mädchen wiederholen artig mit unbewegter Miene den Refrain. Masken des Stumpfsinns.” Aus den Damen der Gesellschaft sind “verdirndelte Städterinnen” geworden, die sich im Grand Hotel unter den “Wanderzirkus einer Diktatur” mischen, Faschisten aus England, Frankreich, Irland, Ungarn usw. Vor den jüdischen Geschäften stehen ältere Damen Wache und weisen den Eintretenden auf das Unsittliche seines Tuns hin. Sobański bedankt sich, sagt, er wisse Bescheid und geht hinein. Bei einer Pressekonferenz ist Julius Streicher, “der selbst unter den Kollegen der Hitler-Elite als ehrlicher Psychopath gilt”, ganz klar: Die Judenfrage könne nur auf blutigem Weg gelöst werden. Die schwedischen Kollegen Sobańskis sind erzürnt, aber deswegen, weil die antisemitische Hetze ihre grundsätzlich hitlerfreundliche redaktionelle Linie stört.
Als positiven Eindruck, schreibt Sobański, nehme er aus Nürnberg mit, daß Hitlerdeutschland im Moment keinen Krieg wolle. Fünf Jahre später, nach einer Flucht über Rumänien, Jugoslawien und Italien, stirbt Antoni Graf Sobański im Londoner Exil an einer Lungenkrankheit. Die Fehleinschätzung mag man ihm nicht anlasten: Wahrscheinlich hatte der polnische Geheimdienst einfach seine V-Männer zu früh aus der NSDAP-Spitze abgezogen.
Antoni Graf Sobański
Nachrichten aus Berlin1933-1936
Parthas Verlag
251 Seiten
19, 80 €
Erschienen in “junge welt”
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