MORGENRÖTE IM GESICHT -In Reggio/Calabria soll ein “Museum der ‘Ndrangheta” entstehen
Wer als gestandener Mann noch so entzückend erröten kann wie Attilio Tucci, kann kein schlechter Mensch sein. Er ist Dezernent für Sozialpolitik bei der Provinzregierung von Reggio/Calabria und damit der Vertreter der Politik bei einem Unternehmen, das auf den ersten Blick befremdet: Die Gründung eines „Museums der ‘Ndrangheta“, der spezifisch kalabresischen Erscheinungsform des Mobs, die durch die Morde von Duisburg im vergangenen Jahr in die internationalen Schlagzeilen geraten ist.
Daß Tuccis Gesicht sich zart verfärbt, liegt an den Kommentaren seiner Projektpartner, die an diesem Donnerstagabend im Berliner Italienischen Kulturinstitut mit auf dem Podium sitzen. Dabei halten sich die Anthropologen Luigi Lombardi Satriani von der römischen Universität La Sapienza, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Museums sowie sein Kollege und Initiator Fulvio Librandi von der Università della Calabria in Cosenza noch sichtlich zurück, wenn sie auf die stille oder aktive Komplizenschaft der „politische Klasse“ ihrer Heimat mit der ‘Ndrangheta zu sprechen kommen. Man wolle nicht alles sagen, ergänzt der Streetworker und Präsident des Trägervereins (Associazione Antigone) des Museumsprojekts, Claudio La Camera, man sei schließlich Gast im Kulturinstitut, einer staatlichen Institution.
Tucci, wird schnell klar, gehört zu den Guten. Er ist Mitglied der Demokratischen Partei und eines der „neuen Gesichter“ (Librandi) in der Provinzregierung, aus deren Etat die bisher einzigen gesicherten Finanzmittel für ein Museum stammen, dessen Ansatz und Ziele sich im Lauf des Abends vermitteln: Die ‘Ndrangheta ist ein historisch gewachsenes Phänomen. Als solches kann sie analysiert, bekämpft und besiegt werden. Diese Analyse braucht einen konkreten wie moralischen Ort - „einen Ort aus Stein“, wie das Projektteam immer wieder betont -, der die Dauerhaftigkeit des Widerstands gegen die menschenfeindlichen Aktivitäten des organisierten Verbrechens, gegen den „scandalo permanente“ symbolisiert. Das Museum ist der Entwurf einer Zukunft, in der die ‘Ndrangheta tatsächlich ‘museal’, also ausgestorben sein wird.
Aber was soll man ausstellen? Messer und Gewehre? Wie der Gefahr der Folklorisierung entgehen oder gar der, eine Art Ruhmeshalle der ‘Krake’ zu errichten? Das sind die Vorschläge: Ein Raum mit Fotos aller Personen, die von der ‘Ndrangheta ermordet wurden; Schautafeln, die innere Struktur und internationalen Geldfluß verdeutlichen; Tonaufnahmen von Aussagen verhafteter Mafiosi und Zeugnisse ihrer Familien, vor allem der Mütter, die, wie Librandi betonte, deswegen so eindrucksvoll seien, weil sie die elenden Lebensverhältnisse der meisten Mafiosi klar machten: Nur eine verschwindende Minderheit bereichere sich tatsächlich am organisierten Verbrechen, die Mehrzahl der ‘Angestellten’ bleibe arm und lande früher oder später für lange Jahre im Knast.
Das ganze soll sich zu einem internationalen Studienzentrum entwickeln, dessen Grundlage jedoch regional und damit ökonomisch ist. Der Kampf um die Jugend Kalabriens, der die ‘Ndrangheta oft die einzige Perspektive für ein Auskommen zu bieten scheint, beginnt in den Schulen, in den Schulbüchern, betonte La Camera. Der, ein feingliedriger Mann mit dichtem Bart und einem traurig-willensstarken Ausdruck im Gesicht, scheint Carlo Levis vor gut sechzig Jahren erschienenen Klassiker über den italienischen Süden „Christus kam nur bis Eboli“ entsprungen zu sein. Der Titel spielt auf ein Sprichwort an demzufolge ein funktionierender Staat, rechtsstaatliche Kultur, zwischenmenschlicher Respekt im ‘Mezzogiorno’ nie angekommen seien. Es ist dies eine Selbstwahrnehmung im Süden, ein historischer Minderwertigkeitskomplex, eine Ideologie der Hoffnungslosigkeit und des Schweigens, die den Nährboden der ‘Ndrangheta bilden.
Spätestens an diesem Punkt wird klar, warum eine Iniative aus dem scheinbar abgelegenen Kalabrien auch bei deutschen Partnern auf Interesse stößt. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität in Süditalien und der gegen den Neonazismus in den angestrebten ‘national befreiten Zonen’ etwa Vorpommerns haben genügend Berührungspunkte. Hier wie dort wird der Erfolg von der Kontinuität der Finanzierung abhängen. Ein Kampf gegen verfestigte oder sich bildende Strukturen asozialer Gewalt braucht ernste, mutige und idealistische Leute wie La Camera. Sie werden aber früher oder später zur Aufgabe gezwungen sein ohne einen Tucci, der gewiß nicht sein Leben lang rot werden will, wenn von dem Milieu, dem er angehört, die Rede ist.
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