MORGENRÖTE IM GESICHT -In Reggio/Calabria soll ein “Museum der ‘Ndrangheta” entstehen

Allgemein, Mafia und Anti-Mafia, oltràlpe — admin on April 23, 2008 at 09:23

Wer als gestandener Mann noch so entzückend erröten kann wie Attilio Tucci, kann kein schlechter Mensch sein. Er ist Dezernent für Sozialpolitik bei der Provinzregierung von Reggio/Calabria und damit der Vertreter der Politik bei einem Unternehmen, das auf den ersten Blick befremdet: Die Gründung eines „Museums der ‘Ndrangheta“, der spezifisch kalabresischen Erscheinungsform des Mobs, die durch die Morde von Duisburg im vergangenen Jahr in die internationalen Schlagzeilen geraten ist.
Daß Tuccis Gesicht sich zart verfärbt, liegt an den Kommentaren seiner Projektpartner, die an diesem Donnerstagabend im Berliner Italienischen Kulturinstitut mit auf dem Podium sitzen. Dabei halten sich die Anthropologen Luigi Lombardi Satriani von der römischen Universität La Sapienza, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Museums sowie sein Kollege und Initiator Fulvio Librandi von der Università della Calabria in Cosenza noch sichtlich zurück, wenn sie auf die stille oder aktive Komplizenschaft der „politische Klasse“ ihrer Heimat mit der ‘Ndrangheta zu sprechen kommen. Man wolle nicht alles sagen, ergänzt der Streetworker und Präsident des Trägervereins (Associazione Antigone) des Museumsprojekts, Claudio La Camera, man sei schließlich Gast im Kulturinstitut, einer staatlichen Institution.
Tucci, wird schnell klar, gehört zu den Guten. Er ist Mitglied der Demokratischen Partei und eines der „neuen Gesichter“ (Librandi) in der Provinzregierung, aus deren Etat die bisher einzigen gesicherten Finanzmittel für ein Museum stammen, dessen Ansatz und Ziele sich im Lauf des Abends vermitteln: Die ‘Ndrangheta ist ein historisch gewachsenes Phänomen. Als solches kann sie analysiert, bekämpft und besiegt werden. Diese Analyse braucht einen konkreten wie moralischen Ort - „einen Ort aus Stein“, wie das Projektteam immer wieder betont -, der die Dauerhaftigkeit des Widerstands gegen die menschenfeindlichen Aktivitäten des organisierten Verbrechens, gegen den „scandalo permanente“ symbolisiert. Das Museum ist der Entwurf einer Zukunft, in der die ‘Ndrangheta tatsächlich ‘museal’, also ausgestorben sein wird.
Aber was soll man ausstellen? Messer und Gewehre? Wie der Gefahr der Folklorisierung entgehen oder gar der, eine Art Ruhmeshalle der ‘Krake’ zu errichten? Das sind die Vorschläge: Ein Raum mit Fotos aller Personen, die von der ‘Ndrangheta ermordet wurden; Schautafeln, die innere Struktur und internationalen Geldfluß verdeutlichen; Tonaufnahmen von Aussagen verhafteter Mafiosi und Zeugnisse ihrer Familien, vor allem der Mütter, die, wie Librandi betonte, deswegen so eindrucksvoll seien, weil sie die elenden Lebensverhältnisse der meisten Mafiosi klar machten: Nur eine verschwindende Minderheit bereichere sich tatsächlich am organisierten Verbrechen, die Mehrzahl der ‘Angestellten’ bleibe arm und lande früher oder später für lange Jahre im Knast.
Das ganze soll sich zu einem internationalen Studienzentrum entwickeln, dessen Grundlage jedoch regional und damit ökonomisch ist. Der Kampf um die Jugend Kalabriens, der die ‘Ndrangheta oft die einzige Perspektive für ein Auskommen zu bieten scheint, beginnt in den Schulen, in den Schulbüchern, betonte La Camera. Der, ein feingliedriger Mann mit dichtem Bart und einem traurig-willensstarken Ausdruck im Gesicht, scheint Carlo Levis vor gut sechzig Jahren erschienenen Klassiker über den italienischen Süden „Christus kam nur bis Eboli“ entsprungen zu sein. Der Titel spielt auf ein Sprichwort an demzufolge ein funktionierender Staat, rechtsstaatliche Kultur, zwischenmenschlicher Respekt im ‘Mezzogiorno’ nie angekommen seien. Es ist dies eine Selbstwahrnehmung im Süden, ein historischer Minderwertigkeitskomplex, eine Ideologie der Hoffnungslosigkeit und des Schweigens, die den Nährboden der ‘Ndrangheta bilden.
Spätestens an diesem Punkt wird klar, warum eine Iniative aus dem scheinbar abgelegenen Kalabrien auch bei deutschen Partnern auf Interesse stößt. Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität in Süditalien und der gegen den Neonazismus in den angestrebten ‘national befreiten Zonen’ etwa Vorpommerns haben genügend Berührungspunkte. Hier wie dort wird der Erfolg von der Kontinuität der Finanzierung abhängen. Ein Kampf gegen verfestigte oder sich bildende Strukturen asozialer Gewalt braucht ernste, mutige und idealistische Leute wie La Camera. Sie werden aber früher oder später zur Aufgabe gezwungen sein ohne einen Tucci, der gewiß nicht sein Leben lang rot werden will, wenn von dem Milieu, dem er angehört, die Rede ist.

http://www.jungewelt.de/2008/04-22/007.php

Franz Doblers Roman “Aufräumen”

Allgemein, Bavarica, Über Jörg Fauser — admin on April 10, 2008 at 09:21

http://www.jungewelt.de/2008/04-10/014.php

Franz Dobler liest heute abend im Eiszeit-Kino, Berlin-Kreuzberg, 20:30 Uhr

FAUSERS BLOCK

Allgemein, Über Jörg Fauser — admin on April 7, 2008 at 20:44

Ein wiederaufgelegter Pulp-Roman war Inspiration für Jörg Fausers „Der Schneemann“

Ein Mann sitzt allein in einem Hotelzimmer in Atlantic City, USA. Vor ihm stehen zwei teure Koffer, die er am Bahnhof hat mitgehen lassen. Die Anzüge passen ihm leider nicht, die Schuhe dagegen schon. Und dann ist da noch diese Kassette, die er mit einer winzigen Feile geöffnet hat: „Ich starrte das Pulver an. Es starrte zurück.“ Von nun an ist Joe Marlin im Besitz von knapp einem Kilo reinem Heroin. Wir befinden uns auf Seite 29 des 1961 erschienenen Pulp-Klassikers „Mona“ von Lawrence Block, als „Abzocker“ gerade wieder frisch aufgelegt in der Reihe „Hard Case“ bei Rotbuch Krimi.
Knapp zwanzig Jahre später, im Januar 1980, sitzt ein Schriftstelller in einem Hotelzimmer in Valetta, Malta. Er will einen Roman schreiben über einen Mann, der etwas findet, worauf ein anderer nicht so einfach verzichten wird. Und in der Version, die er gerade zum zehnten Mal durchliest, ist es eine Brieftasche, die ein Italiener im Zug hat liegen lassen. Der Protagonist dieses Entwurfs, Robert, steckt das Geld ein und läßt die Brieftasche in der Toilette verschwinden. So weit. Und jetzt? Was ergibt sich daraus? Wenig, findet der Mann auf Malta, eigentlich gar nichts. Dabei ist er doch auf Empfehlung seines Verlegers auf diese anglo-katholische Insel gefahren, um hier endlich durchzustarten mit dem Roman. Er schenkt sich den ersten Schluck des Tages ein und blättert in dem amerikanischen Taschenbuch, das er vorhin am Zeitungsstand eingesteckt hat: „Mona“ von Lawrence Block.
Die ersten Seiten überfliegt er, Joe Marlin, ein Abzocker reicher Frauen. Zu viel Sex, das ist nicht sein Ding. Aber handeln könnte sein Held eventuell damit, mit Sex, mit Porno… „Hackensack“ liest er - das ist ein guter Name. So könnte jemand heißen in seinem Roman, vielleicht ein Amerikaner? Und eigentlich geht es diesem Joe ja wie seinem Robert, immer irgendwie auf der Flucht, eine Ein-Mann-Firma im Schmuddelbusiness, der langsam die Felle wegschwimmen. Und was macht er jetzt, klaut einfach die Koffer an der Gepäckaufbewahrung! Nicht schlecht, ginge aber heute nicht mehr. Er müßte den Gepäckschein haben… Heroin, verdammt. Damit kennt sich der Schriftsteller im Hotelzimmer aus. Monate in Istanbul auf der Dachterasse verdämmert, dann Berlin, Göttingen, Frankfurt. Er hat es sich gegeben und den anderen, aber den wirklich großen Deal hat er nie gemacht. Wann hat er das letztemal gedrückt? Vor sechs Jahren, Frankfurter Bude, nach der Schicht am Flughafen? Könnte sein Robert nicht auch ein Wunderpulver finden? Etwas angesagteres allerdings, für schnellere Zeiten. Kokain, Koks, Schnee - wie schrieb dieser Block: „Ich musste das Zeug behalten. Vielleicht war es mein Ass, die einzige Trumpfkarte, die mein Leben retten konnte.“ Da gibt es doch ein wenig mehr dazu zu sagen als diesen amerikanisch abgebrühten Spruch, denkt unser Mann, da muß eine Portion mitteleuropäischer Wahnsinn hinein, Expressionismus, Roth, Benn, Fallada! Er spannt ein frisches Blatt in die Maschine und hämmert: „Alles was du brauchst ist endlich eine Chance, eine einzige wirkliche Chance, den dicken Fisch, den großen Heuler, und dann Schluß mit der billigen Tour, einmal die Knete richtig rollen, Herrgott, die großen Lappen ans Land ziehen, den Kopf aus der Scheiße heben, die echte heiße Sonne sehen, Madonna mia, und wenn die Rechnung kommt, dann bitte mit allen Stempeln und dem großen Bäng.“
Der das so sagt, soll Siegfried Blum heißen. Und er soll „Der Schneemann“ (1981) sein. Und das Ding soll Jörg ‘Joe’ Fausers Durchbruch werden. Und das wird es dann ja auch, nach vielen Mühen, der beste deutsche Krimi nicht nur des vergangenen Jahrhunderts, ein epochemachendes Buch der deutschen Literatur nach 1945.

Lawrence Blocks Erstling „Mona“- ein Name, den Fauser im „Schneemann“ einer eurasischen Prostituierten von „animalischer Schönheit“ geben wird – erschien mit dem hübschen Titel „Die Mörderlady“ 1970 auf Deutsch bei Heyne. Daß Block zu Fausers Kanon gehörte, bestätigt sein enger Freund, der Herausgeber renomierter Krimireihen bei Ullstein und Dumont, der „deutsche Krimi-Papst“ Martin Compart. Ob Fauser „Mona“ in der nun überarbeitet wiederaufgelegten Übersetzung oder im Original, ob er ihn tatsächlich auf Malta oder in seiner Schwabinger Klause gelesen hat: Daß er sich die Grundidee des Plots aneignete und den ersten Entwurf für den „Schneemann“ beiseite legte, läßt sich nicht bestreiten. Der Robert, der die Brieftasche des Italieners findet, begegnet einem erst wieder in der Erzählung „Das Tor zum Leben“ aus der Storysammlung „Mann und Maus“ (1982).
Blocks Mona ist ein durchtriebenes Geschöpf. Sie ist die junge Frau des alten Mannes, dessen Heroin Joe Marlin gestohlen hat. Was liegt näher als daß Joe und Mona eine heiße Affäre beginnen und beschließen den ehrenwerten Ehemann loszuwerden? Und warum sollte ein Wesen wie Mona sich auf Dauer mit einem Gigolo wie Joe zufriedengeben? Aber Lawrence Block (geb. 1938) wäre kein Meister und Vielschreiber in der Nachfolge eines John D. MacDonald, wenn er nicht noch eine finale Überraschung parat hätte.-
Fauser übernimmt neben der Grundidee noch weitere Details. Auch Blum, erfährt man aus einem Dossier seines zwielichtigen Gegenspielers Mr Hackensack, hat sich schon von reichen, unerfüllten Frauen durchfüttern lassen. Seine Femme fatale heißt Cora und ist eine spätalternativ verlotterte Mona-Version. Beide Frauen haben neben ihrem Heißhunger auf Drogen und Kohle schon was übrig für ihre Siegfrieds und Joes, sie sind in ihren eigenen Worten „schlecht, aber nicht verkommen“. Man darf sie eben nur nie vor die Wahl stellen.
Und wenn Blum mal wieder in einem schäbigen Hotelzimmer auf einen Abnehmer für den Stoff wartet, dann geht er wie Marlin in die Lobby und holt sich ein paar Taschenbücher zum Zeit tot schlagen. „Erinnerungen sind ja Scheiße, aber Geschichten halten das Leben zusammen. Manchmal, wenn du den großen Horror hast, ist eine gute Geschichte das einzige, was noch hilft“, erklärt Blum einmal Cora.
Lawrence Block sei Dank, daß Fauser seinen Horror vor dem leeren, weißen Papier dann doch noch überwunden hat.

Lawrence Block: „Abzocker“, Reihe „Hard Case Crime“ bei Rotbuch Krimi, Berlin 2008
Jörg Fauser: „Der Schneemann“, zuletzt erschienen in der Werkausgabe des Alexander-Verlags, Berlin 2004

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