Der lange Marsch der Langeweile: 68, Literatur, Engagement
Es ist ein Bild aus der Akademie-Austellung „1968. Die unbequeme Zeit“, das einem dann nicht mehr aus dem Kopf geht, zwei Reinickendorfer Rocker, von Michael Ruetz 1968 im Märkischen Viertel fotografiert: Sie sehen nicht sympathisch aus und schon gar nicht intelligent, nicht mal wild und frei, aber ihr Blick hat eine so radikale Verachtung für alles um sie herum Bestehende wie auch gegen das sich diesem real oder scheinbar Widersetzende, daß ich mir sicher bin: Diese damals halbwüchsigen Assis liegen schon lange unter der Erde; und sie sind nicht allein. Das Gefallenendenkmal der 68er steht ja noch zur Ausschreibung an, allein die Vertreter der Wortkunst, um die es am vergangenen Freitagabend in der Akademie der Künste gehen sollte, würden eine Tafel der früh Verstorbenen füllen - Vesper, Fauser, Brinkmann sind da nur die großen Namen.
Daß als einziger, gerade noch so der Revolte (Abteilung West) zuzurechnender Vertreter der tüchtige, aber immer etwas überbedächtige Uwe Timm auf dem Podium der Diskussion „Die Literatur und das politische Engagement“ saß, lag aber nicht daran, daß nun sämtliche Autoren der Zeit tot oder verstummt wären. Peter O. Chotjewitz etwa, der wahrhaftig und auf immer unterhaltsame Weise etwas zum Thema beizutragen gehabt hätte, sprach der schlecht angezogene, dabei enorm eitle Moderator Martin Lüdke so ganz nebenbei die Literaturfähigkeit ab.
Das Stichwort des Abends lieferte aber Günther Grass, als er seine Konzeption des Künstlers als Bürger in einer demokratischen, zum Kompromiß vergatterten Gesellschaft vertrat und sich zufrieden über die Überwindung des Geniekultes des 19. Jahrhunderts äußerte. Der wahre Künstler, durfte man schließen, ist nicht der, der sich ganz und radikal hingiebt, der mit seiner Existenz für ein Werk einsteht; der wahre Künstler ist der Netzwerker und Gremienhengst, der an Bundesminister Bewerbungsbriefe schickt, deren spätere Veröffentlichung er dann gerichtlich untersagen läßt, kurz und wie auch anders: Der wahre Künstler ist Günther Grass.
Allein die Erkenntnis, daß eben hier die Tragik eines von maß- und wahllosem Ehrgeiz gepeitschten Mannes liegt, der als Rhetor und Agitator auch an diesem Abend alle Mitdiskutanten weit hinter sich zu lassen wußte, der aber eben das, ein bedeutender Künstler nicht ist und nie war – oder jedenfalls nach der ersten Häfte der „Blechtrommel“ aufgehört hat einer zu sein – lohnte das Zuhören und Zusehen.
Podiumsdiskussionen auf Akademielevel sind hoch ritualisierte Veranstaltungen. Sie sind immer langweillig, und immer ist diese Langweile wie die Klage, daß sich alle Teilnehmer so schrecklich einig seien, das Wesen der Sache. In die Falle, die da gebaut wird, tappte an diesem Abend Raul Zelik, den man als jungen Wilden besetzt hatte. Als er diese Rolle mit einem inhaltlich vernünftigen, sprachlich unelaborierten Statement ausfüllte, spielte Lüdke den Uniprofessor, für den alles Gesagtes ein schon einmal – und besser - Gesagtes ist. Das betagte Publikum im ausverkauften Saal schmunzelte dankbar und erleichtert – bloß nichts Neues!
Zelik ließ sich bieten, was sich die 68er nicht mehr hatten bieten lassen, und wird deswegen wieder eingeladen. Tanja Dückers ist karrieremäßig schon abgebrühter und liest cool aus einem Essay zum Thema vor, das keine Angriffsflächen bietet, Ulrich Peltzer, noch eine Besoldungsstufe höher, gibt den schnoddrigen Durchblicker. Grass poltert gegen den musikalische Intermezzi bietenden Frank Wolff, Bruder von K. D. Wolff, weil der vor vierzig Jahren auf der Buchmesse gegen ihn gepöbelt habe. Das Betriebspodium ignoriert das milde, der Mitarbeiter wird ja nun auch demnächst in den Ruhestand verabschiedet. Nicht umsonst liegt die Akademie neben dem Bundestag, das Märkische Viertel dagegen weit jenseits der bürgerlichen Rituale und der ausnahmsweise kompromißlosen Öde, die man mit ein paar Gläsern Weißwein ja auch erträgt. Oder sollte man sie auf die Bühne werfen? Daß solches Ritualbrechen heute nur noch als Performance, Guerilla-Marketing oder gleich als Naziaktion durchginge, und daß dies etwas mit 68 zu tun hat, wäre vielleicht ein weiterführender Gedanke. Aber im Publikum zu sitzen und darüber zu spekulieren, was man Schlaueres beitragen könnte, macht auch nicht glücklich.
Es sind die Rocker und die anderen großartigen Fotografien von Michael Ruetz, es ist die große, engagierte und kompromißlose Kunst, die einen ahnen läßt, was 1968 war, und was davon, ob es einem gefällt oder nicht, eine Fortsetzung finden wird.
http://www.jungewelt.de/2008/06-09/023.php
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