“alles außer Tiernahrung” - neue politische Gedichte

Allgemein — admin on September 26, 2009 at 20:51

Diese Sammlung von »neuen politischen Gedichten« hat etwas von einer Austernbank. Verschlossen und schroff präsentiert sich in »Alles außer Tiernahrung« die Lyrikgeneration 1963-1985. Theresa Klesper spricht im Nachwort von einer »Polyphonie kritischer Stimmen«, die »ihre Positionen eher intuitiv als diskursiv verhandeln«. Das trifft es.Beginnen wir mit dem Einwand: Die hier versammelte Kunst ist entschieden ernst. Das Verhältnis von komischer und ernster Kunst haben Nils Folckers und Martin Sonntag in ihrem Katalog zu der die Documenta 12 konterkarierenden Caricatura V einmal auf klassische Weise formuliert: Schon lange sei klar, schreiben die Kuratoren, »daß während die sogenannte ernste Kunst noch Fragen aufwirft, die komische Kunst diese schon längst beantwortet hat«. Denn der ernste Künstler, heißt es weiter, »versucht noch immer in höchstmöglicher Verklausulierung ein Thema zu formulieren. Oder gar nur anzudeuten. Die Komische Kunst hingegen bringt jegliche Fragestellung auf den Punkt, erklärt, und gibt Hilfestellung.« Die komische Kunst ist also das Gegenteil einer Austernbank, sie ist ein Soufflé beziehungsweise eine Currywurst. Sie ist zubereitet, sie braucht nicht geknackt zu werden, sie macht es sich schwer und den anderen leicht. Die Gedichte, die Tom Schulz, selbst Lyriker, gesammelt hat, sie wollen das alles nicht. Deswegen fehlt hier ein Marco Tschirpke, deswegen wären hohe und politische Dichter wie Franz Dobler oder Horst Tomayer möglicherweise auch dann unberücksichtigt geblieben, wenn sie tatsächlich so jung wären wie sie ausschauen.

In ihrer Verschlossen- und Mißgelauntheit ist die Anthologie (und ja - auch in ihrem Selbstmitleid) näher bei Benn als bei Brecht. »Alles außer Tiernahrung« hat etwas von einer »Menschheitsdämmerung« unserer Epoche. Sie hat das Zeug zum Klassiker, jedenfalls, was das Dokumentarische angeht. Und man hat nach der Lektüre (einen Status, den es bei einer Lyrikanthologie nicht gibt, das Buch begleitet einen ja, man liest so was nicht aus) die unbedingte Sehnsucht, dieses Post-89-Biedermeier möge nun endlich einmal hinter uns liegen (aber glauben tut man nicht daran).

»im radio heißt es kampfeinsatz/und biometrik was ist das/ich zuzel meinen tee« - das scheint mir die zu verallgemeinernde Haltung zu den Gegebenheiten »wie sie hier sind« (Jörg Fauser). »die leut da draußen sind begabt/mit technik dividenden und/gemeinem eifer was ich nie/verstehen werde oder will./das kreuz tut mir jetzt öfter weh.« Das ist schon sehr genau, wie man - die in diesem Fall eine Frau ist - sich fühlt, wenn man um die vierzig ist, westdeutsch geboren, süddeutsch sprechend, wenn man Spätpunk und den ganzen Kohl, Wackersdorf und ‘89, Techno und 9/11 als Generationserfahrungen hat. Man hat gesehen (einiges), durchgemacht (nichts wirklich Schlimmes), und man hat seine Schlüsse ge-, seine Position bezogen: außerhalb. Was selbstverständlich immer nur Versuch bleiben kann, im schlechten Fall Pose, im besseren existentialistischer Ethos. »Wir finden uns ab«, heißt es, »Wir legen uns Lieblingsbeschäftigungen zu«, »wir glauben,/unseren Möbeln geht es gut«, »›berge von theorie/was ich nie wollte‹«. Das Nichtvereinnahmtwerdenwollen geht auch ganz schön sarkastisch-aggressiv, als Polemik etwa gegen welterfahrene Herrn Kulturbeauftragte der Marktgemeinde, die das Leben auf dem flachen Land erträglich zu machen glauben, »trotz des erbärmlichen/niveaus, auf dem die hippies unterwegs sind,/aber erstens das biogras, nicht-/wahr, und zweitens dieser bereich/ jenseits der einfluss-/sphäre des christ-/sozialen bürger-/meisters.« Debord wird zitiert: »In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen«.

Soviel zu Haltung. Was ist mit dem Wissen. »der straßenstrich/in havanna ist nicht anders als der in taipeh« - ist es das? Die monokausale, die durchkapitalisierte, die eine Welt? Die versammelten Dichter sind jedenfalls vielgereist, aber wenn sie wieder zu Hause »mit einer tasse ausge-/beuteter anregung von kinderhänden gepflückt ZARTES/AROMA« in ihr Büro schleichen »& das tut jeder. oder er lügt.« - dann sind sie wenig berührt. Kollektiver Widerstand ist zwecklos, würde ich sagen - und das ist auf jeden Fall besser als Propaganda, Widerstand zu leisten, den man für zwecklos hält. »jede nahaufnahme ist ein ethisches dilemma«, das heißt ja wohl: Das Wissen, die nun wirklich nicht mehr zu hörende Phrase vom ›genauen Hinsehen‹, ist selbst das Problem geworden. Auch das scheint mir realistisch, das Gefühl der Ohnmacht, »weil auf all unseren worten & gesten der unsichtbare schimmelpilz wächst/der SPARRIGE RISSPILZ®der patente &rechte der uns die münder verbietet// der die spracheTMin schrebergärten mit todesstreifen aufteilt«.

»über den dingen liegt der verdacht handwerklicher schlamperei« - Ehrlichkeit ist nicht das Problem. »nur der onkel auf dem schreibtischstuhl/ faselt noch von solidarität«, die dichter singen »das ende der arbeit«, den »post-industrial«. Was bleibt? »GEHEN SIE BITTE ÜBER DIE PARKSTRASSE UND ZIEHEN SIE EIN WAFFE«? Ich weiß es auch nicht, ich stehe nicht drüber, ich gehöre zu dieser Generation, ich bemühe mich auch nur jeden Tag, wenigstens den Überblick nicht zu verlieren, den Anschluß zu halten. »Alles außer Tiernahrung« ist ein bemerkenswert unverlogenes Buch. Aber ich denke eher nicht, daß meine Söhne einst dafür Beifall klatschen werden.

* Tom Schulz (Hg.): Alles außer Tiernahrung. Neue politische Gedichte, Rotbuch, Berlin 2009, 144 Seiten, 16, 90 Euro

erschienen in “junge welt”

Der lange Lauf des Dieter Althaus

Allgemein — admin on September 10, 2009 at 11:22

Es wäre ein Fall zum Katholisch werden - nur ist das Thüringens Ministerpräsident [ist er’s nun noch oder nicht?] Dieter Althaus bedauerlicherweise schon. Seine Nähe zur Kirche, seine Verwurzelung im katholischen Eichsfeld wurde die Nummer 1 der CDU in der selbsterklärten Toskana Deutschlands nicht müde zu betonen.

Aber zu Einkehr und Demut, schlicht zum büßenden Einfach-mal-nichts-sagen hat ihn die immer wieder und fälschlicherweise als Unfall bezeichnete fahrlässige Tötung von Beata Christandl am Neujahrstag 2009 nicht gebracht. Althaus redete sich mit Bild & Co immer tiefer in ein Unglück hinein, dem er doch eigentlich stärker, gläubiger und neu verliebt (in seine Frau) hatte entstiegen sein wollen. Erst der Witwer des Opfers brachte ihn kürzlich mit einer öffentlichen Erklärung endlich zum Schweigen.
Nun wird Dieter Althaus zumindest aus der ersten Reihe bundesdeutscher Politik eine Zeit lang verschwinden. Und hier ist der Punkt erreicht, an dem man Althaus in Schutz nehmen muss. Denn der schwer traumatisierte Mann - jeder Fernsehauftritt bewies das aufs offensichtlichste - wurde von seinem privaten, politischen und medialen Umfeld zum Supermann erkärt, auf den nicht zu verzichten sei. Nun sieht man: Die Thüringer können nicht nur sehr gut ohne Althaus (und seine Politik), sie wollen sogar ohne ihn. Diejenigen hingegen, die Althaus in seinem junkiemäßigen Vorwärts- und Verdrängungsdrang hätten bremsen müssen, haben versagt.
Dass sie dabei die Mehrheit der Deutschen hinter sich hatten - im März waren 61% der Meinung, Althaus solle wieder kandidieren - wirft kein gutes Licht auf die emotionale Verfaßtheit dieses Landes.

Der lange Lauf des Dieter Althaus ist nun vorerst an einem Endpunkt. Er hat Glück gehabt - andere beendeten solche Rennen in einer Badewanne.

kommentar, erschienen in “taz”

Intakt unter Nazi-Zombies -”Tennis- Baron” Gottfried von Cramm:

Allgemein, Sportjournalismus — admin on September 10, 2009 at 11:10

Erkundigt man sich bei der Nachkriegsgeneration, dann ist Gottfried von Cramm hierzulande vor allem wegen seiner unzeitgemäß langen weißen Hosen in Erinnerung geblieben. Von der Mode seiner Jugend mochte der “Tennis-Baron” auch bei seinem Nachkriegscomeback, etwa im bundesdeutschen Davis-Cup-Team, das er 1951 praktisch im Alleingang in die Endausscheidung der europäischen Zone brachte, nicht lassen. Erst zwei Jahre später, 1953, nahm der inzwischen 43-Jährige endgültig Abschied vom Daviscup, spielte aber noch bis 1957 Turniere.

Ganz andere Aspekte dieser bedeutenden Persönlichkeit rückt der amerikanische Journalist Marshall Jon Fisher in den Mittelpunkt seiner Darstellung (”Ich spiele um mein Leben - Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten”) anlässlich Cramms hundertstem Geburtstag am 7. Juli dieses Jahres: Der Mann, der dreimal im Finale von Wimbledon stand (und dreimal verlor) erscheint hier nicht nur als Vertreter eines aristokratischen und unbedingt eleganten Fair-Play-Tennis, sondern als schwuler, antifaschistischer Frühexistenzialist.

“Gottfried war wirklich erstaunlich”, erinnert sich sein Freund Wolfgang Hofer, “an ihm schien der Krieg absolut spurlos vorübergegangen zu sein. Niemals erwähnte er die Schrecken des russischen Winters. Auch über die Zeit im Gefängnis sprach er nicht.”

Als nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli 1944, im Umkreis dessen Urheber Cramm sich bewegte, eine Terrorwelle der Gestapo das Land überzog, meinte Cramm zu seiner Freundin Missie Wassiltschkow: “Ich will nicht wissen, was mit ihnen geschieht. Ich will lediglich wissen, wer von ihnen überleben und wieder freikommen wird, wer noch frei ist und wann sie es das nächste Mal versuchen wollen. Denn dann können sie auf mich zählen!”

Cramm, der es sich und anderen verbat, bei Fehlentscheidungen der Schiedsrichter auch nur das leiseste Anzeichen von Widerspruch zu zeigen, hatte die durch eine aristokratische Erziehung wohl unterfütterte, aber durch sie allein nicht zu erklärende Fähigkeit entwickelt, zu widerstehen, in dem Sinne, der den meisten seiner Landsleute abging: Er ließ sich einfach nicht verbiegen, nicht zum Parteieintritt bewegen.

Er lebte, wie er Tennis spielte, mit geradem Rückgrat. Und insofern ist die Erinnerung an Cramms weiße Leinenhosen vielleicht doch mehr als der verwunderte Blick von Halbwüchsigen auf einen Mann aus einer anderen Zeit. Der Cramm nach 1945 war ein intakter Mensch unter Nazi-Zombies, eine Ikone und ein Vorbild.

Hierin liegt die Rechtfertigung für Fishers sich manchmal in Details verlierende Herangehensweise. Ja, es ist sogar so, dass man gern noch mehr über Cramm allein erfahren würde - und dazu auf Egon Steinkamps vergriffene Biografie aus dem Jahr 1990 zurückgreifen müsste (”Gottfried von Cramm - der Tennisbaron”), die Fisher, gerade was die Kriegs- und Nachkriegsjahre betrifft, ausführlich zitiert.

Der US-amerikanische Autor hat sein Buch jedoch “three extraordinary men” gewidmet - wie es im amerikanischen Originaltitel heißt: Cramm (der auf sein “von” keinen gesteigerten Wert legte) sowie den US-Tennislegenden Donald Budge und Bill Tilden, Cramms ebenfalls schwulem Mentor. Im Mittelpunkt steht eben jenes Davis-Cup-Halbfinale zwischen Cramm und Budge 1937 in Wimbledon, dem Fisher für Cramm existenziell gefährdende und epochale Bedeutung unterstellt - und damit ziemlich daneben liegt.

Natürlich hätten es Führer & Co gerne gesehen, wenn Cramm Budge besiegt und Nazideutschland damit ins Finale gegen England gezogen wäre, das damals als leicht zu bezwingender Gegner galt. Das heißt aber nicht, dass der Baron “um sein Leben spielte”, sonst hätten die Nazigrößen ihn wohl kaum wenige Wochen nach der Fünfsatzniederlage auf Welttournee gehen lassen.

Es geschah hier, in der freien Atmosphäre dieser Reise, dass Cramm nicht mehr den Deckel auf seinen Überzeugungen halten wollte und wohl zum Opfer der allgegenwärtigen Denunzianten wurde.

Im Jahr 1938 nach Deutschland zurückgekehrt, verhaftete ihn die Gestapo, in Berlin wurde er zu einer einjährigen Gefängnisstrafe nach Paragraf 175 verurteilt. Und ob das Fünf-Satz-Match 1937 in Wimbledon nun vom Sportlichen her tatsächlich bedeutender war als etwa der legendäre Sechsstundenfight zwischen Boris Becker und John McEnroe 1987 in Hartford?

Dennoch: Fisher hat ein gutes, ein aufschlussreiches Buch geschrieben. Und Cramm hat einen Ehrenplatz in der deutschen Geschichte verdient - jenseits des Sports.

Marshall Jon Fisher: “Ich spiele um mein Leben - Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten”. Osburg 2009, 352 S., 22,90 €

erschienen in taz

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