“alles außer Tiernahrung” - neue politische Gedichte
Diese Sammlung von »neuen politischen Gedichten« hat etwas von einer Austernbank. Verschlossen und schroff präsentiert sich in »Alles außer Tiernahrung« die Lyrikgeneration 1963-1985. Theresa Klesper spricht im Nachwort von einer »Polyphonie kritischer Stimmen«, die »ihre Positionen eher intuitiv als diskursiv verhandeln«. Das trifft es.Beginnen wir mit dem Einwand: Die hier versammelte Kunst ist entschieden ernst. Das Verhältnis von komischer und ernster Kunst haben Nils Folckers und Martin Sonntag in ihrem Katalog zu der die Documenta 12 konterkarierenden Caricatura V einmal auf klassische Weise formuliert: Schon lange sei klar, schreiben die Kuratoren, »daß während die sogenannte ernste Kunst noch Fragen aufwirft, die komische Kunst diese schon längst beantwortet hat«. Denn der ernste Künstler, heißt es weiter, »versucht noch immer in höchstmöglicher Verklausulierung ein Thema zu formulieren. Oder gar nur anzudeuten. Die Komische Kunst hingegen bringt jegliche Fragestellung auf den Punkt, erklärt, und gibt Hilfestellung.« Die komische Kunst ist also das Gegenteil einer Austernbank, sie ist ein Soufflé beziehungsweise eine Currywurst. Sie ist zubereitet, sie braucht nicht geknackt zu werden, sie macht es sich schwer und den anderen leicht. Die Gedichte, die Tom Schulz, selbst Lyriker, gesammelt hat, sie wollen das alles nicht. Deswegen fehlt hier ein Marco Tschirpke, deswegen wären hohe und politische Dichter wie Franz Dobler oder Horst Tomayer möglicherweise auch dann unberücksichtigt geblieben, wenn sie tatsächlich so jung wären wie sie ausschauen.
In ihrer Verschlossen- und Mißgelauntheit ist die Anthologie (und ja - auch in ihrem Selbstmitleid) näher bei Benn als bei Brecht. »Alles außer Tiernahrung« hat etwas von einer »Menschheitsdämmerung« unserer Epoche. Sie hat das Zeug zum Klassiker, jedenfalls, was das Dokumentarische angeht. Und man hat nach der Lektüre (einen Status, den es bei einer Lyrikanthologie nicht gibt, das Buch begleitet einen ja, man liest so was nicht aus) die unbedingte Sehnsucht, dieses Post-89-Biedermeier möge nun endlich einmal hinter uns liegen (aber glauben tut man nicht daran).
»im radio heißt es kampfeinsatz/und biometrik was ist das/ich zuzel meinen tee« - das scheint mir die zu verallgemeinernde Haltung zu den Gegebenheiten »wie sie hier sind« (Jörg Fauser). »die leut da draußen sind begabt/mit technik dividenden und/gemeinem eifer was ich nie/verstehen werde oder will./das kreuz tut mir jetzt öfter weh.« Das ist schon sehr genau, wie man - die in diesem Fall eine Frau ist - sich fühlt, wenn man um die vierzig ist, westdeutsch geboren, süddeutsch sprechend, wenn man Spätpunk und den ganzen Kohl, Wackersdorf und ‘89, Techno und 9/11 als Generationserfahrungen hat. Man hat gesehen (einiges), durchgemacht (nichts wirklich Schlimmes), und man hat seine Schlüsse ge-, seine Position bezogen: außerhalb. Was selbstverständlich immer nur Versuch bleiben kann, im schlechten Fall Pose, im besseren existentialistischer Ethos. »Wir finden uns ab«, heißt es, »Wir legen uns Lieblingsbeschäftigungen zu«, »wir glauben,/unseren Möbeln geht es gut«, »›berge von theorie/was ich nie wollte‹«. Das Nichtvereinnahmtwerdenwollen geht auch ganz schön sarkastisch-aggressiv, als Polemik etwa gegen welterfahrene Herrn Kulturbeauftragte der Marktgemeinde, die das Leben auf dem flachen Land erträglich zu machen glauben, »trotz des erbärmlichen/niveaus, auf dem die hippies unterwegs sind,/aber erstens das biogras, nicht-/wahr, und zweitens dieser bereich/ jenseits der einfluss-/sphäre des christ-/sozialen bürger-/meisters.« Debord wird zitiert: »In der wirklich verkehrten Welt ist das Wahre ein Moment des Falschen«.
Soviel zu Haltung. Was ist mit dem Wissen. »der straßenstrich/in havanna ist nicht anders als der in taipeh« - ist es das? Die monokausale, die durchkapitalisierte, die eine Welt? Die versammelten Dichter sind jedenfalls vielgereist, aber wenn sie wieder zu Hause »mit einer tasse ausge-/beuteter anregung von kinderhänden gepflückt ZARTES/AROMA« in ihr Büro schleichen »& das tut jeder. oder er lügt.« - dann sind sie wenig berührt. Kollektiver Widerstand ist zwecklos, würde ich sagen - und das ist auf jeden Fall besser als Propaganda, Widerstand zu leisten, den man für zwecklos hält. »jede nahaufnahme ist ein ethisches dilemma«, das heißt ja wohl: Das Wissen, die nun wirklich nicht mehr zu hörende Phrase vom ›genauen Hinsehen‹, ist selbst das Problem geworden. Auch das scheint mir realistisch, das Gefühl der Ohnmacht, »weil auf all unseren worten & gesten der unsichtbare schimmelpilz wächst/der SPARRIGE RISSPILZ®der patente &rechte der uns die münder verbietet// der die spracheTMin schrebergärten mit todesstreifen aufteilt«.
»über den dingen liegt der verdacht handwerklicher schlamperei« - Ehrlichkeit ist nicht das Problem. »nur der onkel auf dem schreibtischstuhl/ faselt noch von solidarität«, die dichter singen »das ende der arbeit«, den »post-industrial«. Was bleibt? »GEHEN SIE BITTE ÜBER DIE PARKSTRASSE UND ZIEHEN SIE EIN WAFFE«? Ich weiß es auch nicht, ich stehe nicht drüber, ich gehöre zu dieser Generation, ich bemühe mich auch nur jeden Tag, wenigstens den Überblick nicht zu verlieren, den Anschluß zu halten. »Alles außer Tiernahrung« ist ein bemerkenswert unverlogenes Buch. Aber ich denke eher nicht, daß meine Söhne einst dafür Beifall klatschen werden.
* Tom Schulz (Hg.): Alles außer Tiernahrung. Neue politische Gedichte, Rotbuch, Berlin 2009, 144 Seiten, 16, 90 Euro
erschienen in “junge welt”
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