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Aus den Archiven: “It’s done” - Die letzte Soprano-Staffel läuft an
Am 28. September 2001 titelte die «New York Post»: „Mafia plündert WTC”. Die Polizei hatte auf drei Schrottplätzen einhundertfünfzig Tonnen Schwermetall entdeckt, die dort nicht hingehörten. Ihr eigentlicher Bestimmungsort war eine still gelegte Müllhalde gewesen, wo aller Schutt des World Trade Center gesammelt und nach menschlichen Überresten des Anschlags vom 11. September durchsucht werden sollte. Lastwagen einer der Mafia zugerechneten Baufirma hatten sie jedoch auf dem Weg von Ground Zero umgeleitet.
Manch Alte-Welt- Dummerchen mochte über diese Episode hämisch grinsen. Bei der durchaus kleinen Gemeinde der deutschen Soprano-Süchtigen löste sie die vertraute Gefühlsmischung von Faszination und Ekel aus. Sie dachten an den Boss Anthony „Tony” Soprano, der sich im zivilen Umfeld im besten Anzug als „Abfall-Manager” präsentiert, anschließend mit seiner Tocher Meadow väterlich Colleges besichtigt, um unterwegs mal eben einen Verräter („a rat”) aufzuspüren und zu erdrosseln. Tony Soprano ist - in der mit einer Million Dollar pro Folge anständig bezahlten, radikalen Verkörperung durch James Gandolfini - eine Figur von solch hoher artistischer Komplexität (die nicht zuletzt in der Tradition von Herman aus „The Munsters” steht), daß man überhaut nicht zögern muß, sie Lear oder Richard III. an die Seite zu stellen. Die Sopranos waren nicht nur das bedeutendste TV-Kunstwerk seit “Twin Peaks”, sie verschoben die Grenzen dessen, was Fernsehen ist, was möglich ist.
Als ich einmal ein paar Stunden lang mit einer deutschen TV-Regisseurin am Tisch sitzen mußte, die mir einen vom öffentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehen erzählte, war es ein Leichtes, sie mit einem Hinweis auf die Sopranos ins Stottern zu bringen. Ja so was, das ginge eben hier nicht, die Serie sei ja auch bei ZDF und Kabel 1 gefloppt, zu anspruchsvoll, zu intellektuell, zu brutal, der Zuschauer nehme das nicht an - das ganz blabla eben, das Leute ohne künstlerische Vision absondern, die dann immer die Verhältnisse für ihre eigene Sterilität und Feigheit verantwortlich machen, aber munter weiter produzieren.
Amerika hat es da nicht nur besser, es ist auch besser. Die Produktionsgesellschaft HBO hat mit „Big Love”, “The Wire” und “Six feet under” noch mindestens drei Serien im Program, gegen die hiesige TV-Unterhaltung einfach ekelhaft primitiv anmutet - und die „Sopranos” sind nochmal ein ganz anderes Kaliber. Das verstand das US-amerikanische Publikum und das verstanden die US-Kritiker, die die Serie mit 18 Emmy-Awards, 5 Golden Globes und etlichen anderen Preisen auszeichneten.
Schöpfer der Sopranos im weitesten Sinne (Autor, Produzent, Regisseur) ist David Chase, der bei Geburt De Cesare hieß, im nördlichen New Jersey aufwuchs und mit den Sopranos ins Milieu seiner Kindheit, zu Träumen und Albträumen zurückkehrte. Seine Genauigkeit, seine Hingabe an die Figuren, sein Sprachwitz, der sich mit Untertiteln und rudimentären Englischkenntnissen jedem Interessierten erschließt, sind überwältigend. Dabei sind seine Zitate aus Film (vor allem „Good Fellas” und „Der Pate”) und Literatur ein Spaß, den er sich erlauben kann, weil die Sopranos so eigenständig, so neu sind. Es gelingt Chase, die fundamentale Idee von Gut und Böse so weit zu strapazieren, daß man als Zuschauer etwa nicht mehr versteht, warum Tonys Psychotherapeutin Jennifer Melfi (Lorraine Bracco) sich nicht seiner Mobster-Qualitäten bedient, um sich an einem Mann, der sie vergewaltigt hat , aber wegen eines Verfahrensfehlers auf freien Fuß gesetzt wird, zu rächen. Chase bringt uns mit seiner Geschichte dahin, daß wir alle Rechtsnormen aufzugeben bereit sind, ja sie lächerlich finden, um uns dann um so schärfer einzubleuen, daß Werterelativismus unweigerlich die finstersten Cosa- Nostra-Gestalten zu unseren Herrschern macht - auf deutsche Verhältnsse übersetzt: Die Herrschaft der Neo-SA, die nicht nur in Halberstadt zum Einsatz immer bereit steht.
In der sechsten und letzten Staffel, deren erster Teil (Folge 66-77 von insgesamt 86) bereits auf DVD erhältlich ist, geht es denn auch mit den Sopranos Schritt für Schritt bergab. Sie sind fetter, häßlicher, älter und nervöser geworden, aber sie bleiben echte, faszinierende Menschen. „Made in America” heißt die letzte Folge, die in Internetforen kontrovers diskutiert wird. Alles scheint jedenfalls darauf hinzudeuten, daß uns die Sopranos noch einmal, auf der Kinoleinwand begegnen werden; und wenn ich mir zum Abschluß, eine Träne aus den Augen wischend, eine Spekulation erlauben darf: Ich glaube, daß wir darin allen Hauptcharakteren wiederbegegnen (solang deren Darsteller nicht tot oder im Knast sind - aber die reale Kriminalstatistik des Soprano-Casts wäre eine andere Geschichte) und einiges über Tonys Jugend erfahren werden.
Mit Silvio Dantes (Steven van Zandt) berühmten Worten: “Just when I thought I was out, they pull me back in again.”
Zuerst in “junge welt ” vom 13. Juni 2007